Was bedeutet Bindungsfähigkeit?


In den Zeiten wie heute, wo wir zum großen Teil im Überfluss leben und sogar schon den Partner fürs Leben über das Internet „bestellen“ können, bekommen die zwischenmenschlichen Beziehungen eine ganz neue Bedeutung.

 

 

 

Wenn man das Gefühl hat, immer und überall noch etwas „Besseres“ finden zu können, immer noch einen tolleren Menschen zu treffen, dann wird man so zu sagen, nie „satt“. Man bleibt immer auf der Suche. Stets der neue Kick, neue Begegnungen, neue Erfahrungen, neue Erlebnisse. Keine Langeweile, kein Druck, keine Verpflichtungen, kein „müssen oder sollen“.

 

 

 

An sich ist es etwas sehr Schönes und sehr Wertvolles, gut für sich zu sorgen. Stets zu schauen, dass das, was einem im Leben Druck macht, reduziert, sich davon distanziert. Das ist sehr gesund und notwendig. Beziehungen, die uns schon lange nicht mehr glücklich machen, sondern nur Kraft kosten, sollte man hinterfragen. Zwischenmenschliche Beziehungen sind dafür da, um wahrgenommen zu werden, um gesehen, gefühlt, umarmt, angenommen zu werden, als der Mensch, der man ist. Die Beziehungen sind da, damit wir uns im anderen erkennen, erkennen wer wir wirklich sind, was uns wichtig ist und welche Werte wir leben wollen.

 

Ohne den Spiegel des Gegenübers geht es einfach nicht (so gut). Wir brauchen andere Menschen, um uns austauschen zu können, um einander unsere Zeit und unsere Aufmerksamkeit zu schenken. Der Mensch ist nun mal kein Einzelgänger, sondern ein Rudeltier. Er braucht Kontakt zu seinen Artgenossen.

 

 

 

Nur lässt sich heutzutage schnell  der Anschein erwecken, dass wir uns über die Social Media mehr als genug mit anderen verbinden. Wir fühlen uns gut, weil wir so viele tolle Menschen „kennen“, die uns täglich die Langeweile des grauen Alltags versüßen. Doch wenn wir uns real begegnen „sollen“, wird es nicht mehr so einfach. Auf einmal ist alles real. Der Mensch, seine Augen, seine Haut. Oh Gott. Da kommen Gefühle und Emotionen hoch, die wir schon lange lange nicht mehr in uns gespürt haben.

 

 

 

Im Falle eines Dates (oder vieler Dates, wenn es gut läuft) kann es uns auch echt umhauen, den Boden unter den Füßen einreißen. Uns in den 7. Himmel katapultieren. Was auch immer. Das echte Leben ist nun mal ein ganz anderes als das auf dem Bildschirm unseres Smartphones. Und damit richtig umzugehen haben wir – so behaupte ich – fast verlernt. Wir können kaum die Emotionen, die aufkommen, richtig begreifen, einordnen und diese so verarbeiten, wie es zielführend wäre. Kein Gefühl dauert ewig. Sie kommen und gehen. Das sagt uns nur keiner…

 

 

 

Was jedoch bleibt: Meine eigenen Werte. Was ist mir wichtig im Leben? Was macht mich glücklich? Ist der Mensch, mit dem ich jetzt und hier meine Zeit verbringe, gut für mich? Tut er/sie mir gut? Bin ich gerne mit ihr/ihm zusammen? Und wenn die Antworten mich glücklich machen, dann lasse ich es den Menschen ehrlich wissen und freue mich, wenn es bei ihm/ihr genauso ist. Dann kann der nächste Schritt passieren.

 

 

 

Wenn dann die Landung aus dem 7. Himmel ansteht, wartet die Realität. In der Realität wird es dann deutlich, in wie weit man immer noch mit dem Menschen, den man plötzlich lieb gewonnen hat, zusammen passt. So liest man es vielleicht in den Ratgebern über die Liebe. Wer hat sie schon alle gelesen???

 

 

 

Meiner Erfahrung nach ist es so, dass nach der Landung erst einmal ein Schleifpunkt kommt. Kennt ihr den? Von der Fahrschule? Du kannst erst richtig Anfahren lernen und so richtig Gas geben, wenn du diesen einen Schleifpunkt zwischen der Kupplung und dem Gaspedal erwischst… Und genauso ist es auch hier. An diesem Punkt entscheidet sich, ob die Liebesbeziehung sich vertiefen darf, sich noch eine viel tief gehendere Nähe aufbaut und letztendlich eine Bindung zustande kommt.

 

 

 

Und diese Bindung macht oft große Angst. Es gibt ganz viele Menschen, die haben eine große (ihnen nicht bewusste) Angst vor Bindung. Diese Angst ist sehr alt. So alt wie der Mensch zu dem Zeitpunkt biologisch alt ist. Denn unsere ersten Bindungserfahrungen machen wir genau genommen in den ersten Minuten, Stunden und Tagen nach der Ent-Bindung…. Kaum einer von uns hatte eine Mutter, die seelenruhig sich Tage bis Wochen Zeit genommen hat, um nur für uns da zu sein. Uns stets zu zeigen, wie willkommen wir in dieser Welt sind, wie wunderbar wir sind. Kaum eine Mutter hatte die Möglichkeit, immer für uns – körperlich und emotional - da zu sein. Uns am Körper zu tragen, damit sich die Bindung immer mehr verstärken kann. Diese Nähe und diese Bindung sind entscheidend für unser Wohlergehen im Erwachsenenalter. Sie entscheiden darüber, ob wir fähig werden, später selber Nähe aufzubauen, zuzulassen und vor allem auch anzunehmen. Und diese ersten Erfahrungen prägen ebenso unsere spätere Liebesfähigkeit. Werden wir von Anfang an bedingungslos so angenommen und geliebt, wie wir sind, dann sind wir später fähig selber Liebe zu geben und Liebe anzunehmen.

 

 

 

In meinen noch folgenden Blogbeiträgen gehe ich noch mehr darauf ein, wie prägend die ersten 36 Monate nach Zeugung für unser ganzes Leben sind.

 

 

 

Was ich an dieser Stelle jedoch betonen möchte, dass nichts in den Stein gemeißelt ist. Und dass – nicht gemachte Bindungs-Erfahrungen der ersten Lebensmonate – nachgeholt werden können. Das kann uns zu liebesfähigen, bindungsfähigen Menschen machen. Und uns das Glück bescheren, wonach wir uns schon so lange sehnen… Es ist dann möglich, wenn wir es für möglich halten.

 

 

 

In Liebe

 

Eure Tatjana

 

 

 

www.tatjanaenns.de